„Altstadt“ sagen viele in Augsburg zu dem Quartier östlich der Maximilianstraße in das kleine Gassen hinunterführen: der Judenberg vor allem, der Eisen- und Hunoldsberg und das Butzenbergle. Augsburg liegt zum Teil auf einer „Hochterrasse“. Seitlich davon aber liegen die „Täler“, die Lech und Wertach ausgegraben haben. Du merkst es, wenn Du von Pfersee oder Lechhausen zum Rathaus radeln willst: Da geht’s eben irgendwann ein Buckel rauf. Das Lechviertel liegt also im „Tal“ des Lechs und ist von zahlreichen Kanälen durchzogen, die sich aus dem namengebenden Fluss speisen.
Schon im Mittelalter zweigten die Augsburger am Hochablass das Wasser des damals wilden Lechs ab, das durch die Stadt plätscherte und dort zahlreiche Mühlräder in Bewegung hielt. Man hatte erkannt, welcher Schatz das aus den Alpen frisch hinunterfließende Wasser war: Eine Energiequelle, ein Müllschlucker. Die klappernden Mühlen an den Kanälen des Lechs waren der Motor des Augsburger Wirtschaftswunders seit dem 14. Jahrhundert. Weber, Gold- und Silberschmiede, Uhren- und Instrumentenbauer, Drucker, Chemiker exzellierten auf dem europäischen Markt mit ihren Produkten.
„So lass von Deiner Kunst, das Sprichwort nicht veralten, was man in Augsburg macht, das muss die Probe halten“ so lautete bald ein geflügeltes Wort.
Denn alles, was in Augsburg hergestellt wurde, wurde strengstens auf seine Qualität geprüft. Die Handwerker hatten sich zu Genossenschaften, den Zünften zusammengeschlossen. Jede Zunft bestimmte einen „Geschaumeister“, der die Waren kontrollierte und deshalb gefürchtet war.
Das Viertel im Schwemmland des Lechs muss früher sehr geschäftig gewesen sein: An jeder Ecke wurde eine andere Ware hergestellt, die Kanäle flossen vom Pigment der Färber geschwängert durch die Gassen, es stank; Tiere wurden durch das Viertel getrieben – nicht umsonst heißt ein Straßenzug bis heute „Geißgässchen“. Dicht lebte man in den krummen Häusern mit ihren engen Zimmern über den Werkstatträumen zusammen. Da teilten sich bisweilen drei, vier und mehr Personen ein Zimmer.
Das wurde noch schlimmer, als das alte Handwerk im 18. Jahrhundert Konkurrenz durch Maschinen bekam. Im 19. Jahrhundert zogen Fabrikarbeiter hierher, Rentner oder Tagelöhner. Putz blätterte von den feuchten Wänden, man schlief in Schichten, so dicht bewohnt war die Stadt nun. Krankheiten breiteten sich aus. Das dunkle, stinkende Lechviertel wurde für viele zu einem hoffnungslosen Ort. „Komplett abreißen“, lautete deshalb das Urteil der Stadtplaner seit den 1920er-Jahren.
Aber dann kamen die großen Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg und ausgerechnet das Lechviertel blieb zu großen Teilen stehen. Überall in der Stadt wurden seit 1945 Sozialwohnungen gebaut. Die Behausungen im Lechviertel leerten sich, weil niemand mehr hier wohnen wollte. Dieser Leerstand machte paradoxerweise den Weg frei für eine Sanierung seit den 1970er-Jahren: Bäche wurden aufgedeckt , Plätze und Straßen neu gestaltet, Häuser denkmalgerecht saniert. Läden mischten sich unter die (wenigen) noch vorhandenen Handwerksbetriebe; das Viertel sah vermutlich noch nie in seiner Geschichte so hübsch aus. „Altstadt“ eben.