Entlang der Augsburger Kanäle I Ein Spaziergang am Proviantbach

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Wo er beginnt, der Proviantbach, das weiß kein „normaler“ Mensch. Die AugsburgerInnen sind allgemein recht trickreich, um die Zahl der Kanäle etwas in die Höhe zu treiben. Scheinbar ein und derselbe Kanal hat im seinem Verlauf oft unterschiedliche Namen – immer, wenn das Wasser sich verzweigt. So ist es auch beim Proviantbach. Und mit diesem möchten wir unsere Serie entlang der Augsburger Kanäle, starten.

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So viele Namen für ein und das selbe Wasser

Am Hochablass wird der Hauptstadtbach abgezapft. Er wird im Volksmund wegen seines kalten Wassers auch „Eiskanal“ genannt. Dieser teilt sich an der Friedberger Straße in den Kaufbach und den nach Norden fließenden Herrenbach.

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Letzterer spaltet sich auf Höhe der Reichenberger Straße in den Hanreibach im Westen und – endlich – den Proviantbach im Osten. So weit die graue Theorie. Letztendlich fließt also durch all diese Kanäle das gleiche Wasser und all diese Wasseradern vereinigen sich in der nördlich der Innenstadt gelegenen „Wolfzahnau“,  wieder ehe sie in die Wertach bzw. den Lech plätschern.

Das Geschenk der natürlichen Energie

Nun gut, so spektakulär wie diejenigen in Venedig oder Amsterdam sind die Augsburger Kanäle nicht. Keine Palazzi oder Giebelhäuser fassen sie ein. Was also ist das Besondere? Dazu muss man sich auf die Brücke der Reichenberger Straße stellen und die Augen schließen. Es riecht nach Autoabgasen und Feuchtigkeit; nun gut. Und es rauscht. Dieses Rauschen war für Augsburg Gold wert: Der Lech ist im Grunde nichts weiter als ein großer Gebirgsbach. Er schiebt gewaltige Wassermassen und Geröll nach Norden. Seine Gewalt war bis ins 20. Jahrhundert gefürchtet. Verheerende Überschwemmungen suchten die Orte im Lechtal und auch Augsburg heim.

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Der hurtige „Fluss“ – im Wortsinne – lieferte und liefert aber natürliche Energie. An fast allen Augsburger Kanälen klapperten Mühlen. Später trieb man ganze Fabriken mit Wasser an. Die Stadtbäche sind deshalb immer wieder von Turbinenhäusern überspannt; direkt an der Reichenberger Brücke steht eins, und wenn wir nach Norden blicken, sehen wir schon das nächste. Aus romantischen Gesichtspunkten mag das kein Pluspunkt sein: Auf den Augsburger Kanälen kann man eben nicht Gondel fahren und „O sole mio“ singen. Man würde rasch und kläglich im Gitter eines Kraftwerks stranden.

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Der Herrenbach beim Fabrikschloss wird zum Proviantbach

Das Fabrikschloss am Proviantbach

Weiter geht’s…..aber halt – vorher verdient das große Ziegelbauwerk einen Blick. Fabrikschloss – diesen Namen verpassten die AugsburgerInnen dem gewaltigen Kasten mit seinen vier Ecktürmen. Als es 1895/98 fertiggestellt wurde, hieß das Gebäude offiziell „Werk Proviantbach der Spinnerei und Weberei Augsburg (SWA)“. Der Architekt Karl Arnold Séquin Bronner hatte der großen Augsburger Textilfirma zu einer topmodernden Fabrikanlage verholfen. In den Sälen wurde ursprünglich gesponnen – nicht was ihr jetzt vielleicht denkt – hier wurde ein Faden hergestellt. Damals war das ganze Umfeld unbebaut, wie ein Palast thronte die Fabrik in der flachen Landschaft; während der Nachtschicht strahlte das Licht aus den großen Fenstern als würde Aschenputtel zum Ball einladen. Ein Fabrikschloss eben.

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Nun geht’s aber weiter…..wir laufen nicht zum Schloss, sondern auf der anderen Uferseite über den Parkplatz und überqueren die Brücke über den Hanreibach.

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Am Ende der Siedlung trifft der Weg auf die Lokalbahntrasse. Früher verband diese Mini-Eisenbahn die Augsburger Fabriken miteinander. Güter konnten so seit 1898 zum Bahnhof gebracht werden. Manchmal ist noch das hupende Signal des Bähnles zu hören und wenn man Glück hat, sieht man auch noch eines über die Gleise rumpeln. Mittlerweile werden auch Rundfahrten mit der Lokalbahn angeboten.

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Neugierig geworden?

Mehr zu den Rundfahrten und zur Localbahn erfahrt ihr hier.

Sich einfach mal treiben lassen

Wieder überqueren wir den Proviantbach – ja, ja, warum er so heißt, werdet ihr schon noch erfahren; wenn ihr das überhaupt wissen wollt. Gleich hinter der Brücke führt ein Weg nach rechts erneut über den Kanal. Danach schlagen wir uns wieder nach rechts in die Büsche (immer schön artig bleiben!) und stehen schließlich auf einer Liegewiese. Hier kann man sich im Sommer in die „Fluten“ des Proviantbachs schlagen und in der Strömung treiben lassen. Denn das nächste Turbinenhaus ist recht weit. Einziger Nachteil: Wenn man gegen den Strom zurückschwimmen will, braucht man doch eine herkulische Oberkörpermuskulatur. Alle anderen müssen irgendwann aus dem Kanal steigen und zu den abgelegten Habseligkeiten zurücklaufen. 

Egal, ob Sommer oder Winter: Beim Sonnen auf der Wiese kann man den Blick ein wenig schweifen lassen. Ihr seid ja in der Kulturrubrik gelandet und werdet deshalb immer wieder mit etwas Geschichte genervt.

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Das Proviantbachquartier

Und los geht’s: Jenseits des Proviantbaches liegt das „Proviantbachquartier“. Die früheren Bewohner dieses Stadtteils hätten sich gewundert, wie viel ihre Wohnungen heute wert sind. Die SWA hatte das  Quartier extra für ihre Arbeiterinnen und Arbeiter errichten lassen. Um 1900 gab es hier Läden und soziale Einrichtungen wie einen Kindergarten oder eine Schule – alles von der Textilfabrik finanziert.

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Wenn wir in die Gegenrichtung gucken, erhaschen wir einen Blick auf den Glaspalast mit seinem hohen Wasserturm. Auch hier wurden Garne gesponnen und verwebt, denn das Gebäude gehörte wie das Fabrikschloss zur SWA. Die Arbeitsbedingungen waren hart: Da stand man an lauten, heißen Webstühlen, Flusen schwirrten durch die Luft. Aufmucken war kaum möglich, denn dann waren Wohnung und soziale Leistungen des Arbeitgebers futsch. 

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Glaspalast und Schlachthofquartier

Nun aber auf zum letzten Abschnitt des Spaziergangs: Es geht weiter den Kanal entlang, Wir überqueren die Otto Lindenmeyer-Straße und folgen der Hermann-Kluftinger-Straße. An der Ampel über die Amagasaki-Allee stehend, sehen wir nun den Glaspalast in seiner vollen Pracht. Die Glasfronten waren möglich, weil man beim Bau 1910 Stahlbeton verwendete. Der Architekt, Philipp Jakob Manz, hatte den Spitznamen „Blitzarchitekt“, weil er in kürzester Zeit riesige Fabriken errichten konnte. 

Die Ampel zeigt „Grün“ und wir überqueren die Schleifenstraße. Am hier recht kahlen Ufer des Proviantbachs stehen die Bauten des Schlacht- und Viehhofs. Die drei Verwaltungsgebäude zeigen mit unterschiedlich farbigen, ornamental vermauerten Blendziegeln  ein wiederum beinahe schlossartiges Erscheinungsbild. Denn man war stolz, als der Schlacht und Viehhof 1900 eröffnet werden konnte. Im Areal blieb vor allem die Verkaufshalle für Kälber mit ihrer offenen Eisenkonstruktion (Architekt Fritz Steinhäußer) erhalten. 

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Kleine Verschnaufpause, gefällig?

Unser Geheimtipp für euch: Im Schlachthof beim Café Himmelgrün kann man sich Kaffee und Kuchen in oder etwas zu Essen gönnen – alles in Bio-Qualität. Schaut doch mal rein, ein Besucht lohnt sich!

 

Und darum heißt der Proviantbach, Proviantbach

Vorher lohnt ein Blick an die Johannes-Haag-Straße: Die unscheinbaren Holzstadel reichen bis in die Zeit von Elias Holl (1573-1646) zurück. Damals lagerte man hier Baumaterialien. Und richtig, weil man per Floß (Fichten-)Holz, Steine oder Marmor, also Proviant über den Kanal transportierte, heißt der für Augsburg besonders breite Kanal „Proviantbach“; die Stadel gehörten zum Städtischen Proviantamt oder Bauhof. Diese werden mittlerweile von den „Kunstsammlungen und Museen Augsburg“ genutzt und sollen einmal ein Lapidarium enthalten. 

Zu guter Letzt… …eine Übersicht für euch:

DER VERLAUF DES PROVIANTBACHS: