Der Vordere Lech hat echt Glück gehabt. Er fließt an einigen der schönsten Orte in Augsburg vorbei. Na gut, das war vielleicht nicht immer so. Einst, als er als Brauchwasserzufuhr genutzt wurde, war’s unter Umständen schwierig, mit der Schönheit. Die Mühlen klapperten; die Färber entleerten ihr Abwasser in den Kanal, Müll wurde entsorgt. Rundum Gestank und Lärm aus den Handwerksbetrieben, von den Schmieden, den Schäfflern, den Webern und Lodwebern, den Kürschnern…
Aber von Anfang an. Der Vordere Lech entspringt kurz vor dem ‚Roten Tor’ dem Lochbach. Letzterer versorgte Augsburg mit Brauchwasser, also mit Wasser, das man zum Beispiel als Energiequelle nutzen konnte. Der Brunnenbach dagegen, der auch von Süden in die Stadt hineinfloss, war die Trinkwasserquelle, die keinesfalls verunreinigt werden sollte.
Beim Toten Rohr, äh, Roten Tor nun kamen sich diese beiden Bäche sehr nahe, blieben aber doch durch Holzwände voneinander getrennt. Sie plätscherten über ein Aquädukt hinein in die Stadt, wo sie, Vorderer Lech genannt, als erstes das Haus des Brunnenmeisters erreichten und bis heute erreichen. Allerdings blieb die Trennwand nicht erhalten. Das Wasser des Lochbachs trieb im Werkhof des Brunnenmeisters mehrere Mühlen und damit Pumpen an. Sie wurden gebraucht, um das glasklare Brunnenbach-Wasser in drei Hochreservoirs zu pumpen – ehemalige Stadtmauertürme, die man umfunktioniert hatte.
Zwei dieser Wassertürme, der ‚Große’ und der ‚Kleine’ wachsen buchstäblich aus dem Brunnenmeisterhaus heraus. Ein dritter, der Kastenturm (nach dem Wasserkasten benannt, der sich ganz oben befand) steht etwas abseits.
Warum das ganze? Augsburg ist im Flachland gebaut, aber dummerweise liegt ein großer Teil der Stadt höher als die Lechaue, aus der das Trinkwasser bezogen wurde. Um nun das Rohrnetz (die ‚Deicheln’) mit Wasser speisen zu können, musste man Druck erzeugen – eben durch Hochreservoirs, aus denen das zuerst hochgepumpte Wasser in die Trinkwasserleitungen ‚fiel’.
Die Anlage war viel bewundert für ihre Technik, und weil die Brunnenmeister, der berühmteste von ihnen hieß Capar Walter, stolz auf ihr Werk waren, wollten sie es auch vorzeigen können.
Darum wurden die Türme immer weiter ausgestaltet, mit geschnitzten Treppen – im Kastenturm befindet sich sogar eine doppelläufige Wendeltreppe – oder mit Wasserspeiern wie die entzückenden kleinen Delphine, die seitlich der Eingangstür zum Wohnhaus des Brunnenmeisters Wasser in den Vorderen Lech ‚spucken’.
Ebenfalls im Kastenturm, nämlich ganz oben in der Brunnenstube – „saß“ der bronzene „Brunnenjüngling“ (1601) von Adriaen de Vries; aus der Schnecke, die auf seinem Oberschenkel liegt, quoll das kostbare Nass heraus. Heute wird die Figur im Maximilianmuseum bewahrt.
Den Besuchern des 16. und 17. Jahrhunderts kam das Brunnenwerk jedenfalls wie Zauber vor. Der Humanist Michel de Montaigne (1533-92) nannte die Anlage „sinnreich“ und eine „Zierde“. Eigentlich kein Wunder, dass der Werkhof des Brunnenmeisters mit seinen Türmen – übrigens das älteste bestehende Wasserwerk Mitteleuropas (seit 1416) – heute das Herzstück des UNESCO-Weltkulturerbes „Augsburger Wassersystem“ bildet.
Ohweh, schon wieder so viel gscheid daher gschwätzt, dabei müssen wir doch noch ein Stückchen den Vorderen Lech entlanglaufen. Der fließt erst einmal durch das ehemalige Spital (1623-31) von Elias Holl hindurch und weiter unter dem Altenheim hindurch. Brückchen und Treppchen wurden über den Kanal geschlagen.
Wir können in den Hof des früheren Klosters St. Margareth laufen, wo im 19. Jahrhundert Wolle angeboten wurde und kommen durch ein Tor an der Margaretenstraße wieder heraus.
Der Vordere Lech fließt hinter den Häusern an der Bäckergasse entlang. Aber wo bitte sind die Bäcker? Freilich, auf einer Wetterfahne ist noch ein Herr mit Brezel zu sehen. Aber sonst?
Eine Bäckerei, das war’s. 1646 gab es an dieser Gasse 25 Bäcker. Die Lage war eben günstig, denn durch das Rote Tor kamen nach langer Reise, vielleicht aus Italien, lauter hungrige Menschen in die Stadt. Nicht nur die ganzen Bäcker sind verschwunden, auch der Großteil der Jahrhunderte alten Häuser. 1944 stand hier wirklich kaum ein Stein mehr auf dem anderen.
Wir überqueren den Predigerberg und sehen ihn wieder, unseren hübschen Lechkanal. Sogar die Gasse heißt jetzt „Vorderer Lech“. Links steigt das Gelände an, auf der Höhe erhebt sich die ehemalige Dominikanerkirche St. Magdalena. Rechts ist noch ein alter Färberturm zu sehen. Früher wehten gefärbte Stoffbahnen vom Turm herab zum Trocknen im Wind.
Wenn wir nun die Gasse weiterlaufen, sie heißt immer noch „Vorderer Lech“, entdecken wir an einem der Häuser einen offenen Dachboden, in dem Tierhäute aufgehängt sind. Es ist Augsburgs letzte Gerberei.
Je näher wir dem Rathaus kommen, dessen Türme manchmal zu sehen sind, desto hübscher wird die Gasse nun. Es geht vorbei am Kunstverein, und am Gignoux-Haus, einer ehemaligen Manufaktur, in der Stoffe (Kattune) bedruckt wurden. Das wunderschöne Rokoko-Haus wird gerade saniert. Anna Barbara Gignoux, nach der es benannt ist, war eine erfolgreiche Unternehmerin. Aber heben wir uns ihre Geschichte für ein anderes Mal auf.
Die Gasse „Vorderer Lech“ endet schließlich bei der Gastwirtschaft „Bauerntanz“ die schon seit 1576 besteht und nach einer Fassadenmalerei von Johann Evangelist Holzer aus dem 18. Jahrhundert benannt ist.
Damals machten die Städter sich genüsslich über die „Bauertrampel“ lustig und so zeigte Holzers Fresko eine lustige, leicht tapsige Bauergesellschaft. Die Malerei ist leider schon lange verschwunden.
Der Kanal fließ nun an der Gasse „Beim Märzenbad“ entlang. Das ist Winkel wie von den Brüdern Grimm beschrieben, oder? Der Name geht auf die Familie März zurück. Es gibt auch ein „Märzenhöfle“, das seit dem 16. Jahrhundert durch ein Gitter abgeschlossen ist, am Tag aber geöffnet wird.
So langsam nähert sich „unser“ Kanal seinem Ende, die letzten Meter fließt er unter dem Kloster „Maria Stern“ und der „Kresslesmühle“ hindurch. Auch die Stadtmetzg (1609) von Elias Holl ist über den Kanal gebaut, der zur Kühlung und als Müllschlucker diente. Danach vereint der Vordere sich in aller Stille mit dem Mittleren Lech.