Und weiter geht es in der Stadtteilreihe mit dem schönen Augsburger Viertel „Göggingen“ – und mal sehen was uns dieses Stadtteil noch zu erzählen hat.
Samstagnachmittags, wenn die Sonne scheint, zieht es die Menschen in den Gögginger Park hinter dem „Rathaus“. Das gelbe Gebäude aus dem 18. Jahrhundert war tatsächlich auch einmal ein Rathaus, in jenen „glanzvollen“ Zeiten, da Göggingen eine Stadt war. Der ehemalige Amtsraum des Bürgermeisters weist noch eine Kassettendecke aus dem 19. Jahrhundert auf. Der Park mit seinem kleinen Teich, nach dem hin Bäume ihre Zweige auszustrecken scheinen, war einst Privatbesitz, dient heute glücklicherweise aber der Allgemeinheit.
Einmal durch den Park gelaufen und wir erreichen die Apprichstraße. Sie hieß früher „Singoldstraße“, wurde aber 1973 nach dem Turner Otto Apprich (1892-1964) benannt. Schließlich steht hier auch die Turn- und Schwimmhalle. Der Gögginger Turnverein brachte eine Reihe berühmter Sportlerinnen und Sportler hervor, etwa Anton Bezler (1909-44) , nach dem die Turnhalle benannt ist, oder Marianne (Mary) Wagner (*1961).
Direkt an der Singold erhebt sich ein hoher, mit roten Ziegeln verkleideter Bau, eines der Augsburger „Fabrikschlösser“. Das Gebäude entstand 1908 nach Plänen des Architekten Hermann Dürr. Ausführende Baufirma war Thormann & Stiefel.
1912, als der große Hochbau, die Shedhallen und das weiße Maschinenhaus (1911, Architekt Philipp Jakob Manz) gerade brandneu waren, arbeiteten 1.481 Beschäftigte für die berühmte Gögginger Garnzwirnerei („Nähfadenfabrik“), die 1855 von Eusebius Schiffmacher gegründet worden war. Heute, nach Verkleinerung des Firmenareals, befinden sich im Hochbau Wohnungen und Praxen. Das Kraftwerk (1887) ist noch in Betrieb und zählt zum UNESCO-Welterbe.
Um die Produktionsbauten herum waren seit 1873 Arbeiterhäuser entstanden. Die „Alte“ Kolonie an der Koloniestraße gleich um die Ecke ist besonders gut erhalten. So adrett sehen die gelben Häuser aber erst seit ihrer letzten Sanierung aus. Vor dem ersten Weltkrieg wurde in den Häusern der Alten Kolonie vor allem Italienisch gesprochen – die Nähfadenfabrik beschäftigte zahlreiche Arbeiter aus Italien.
Die Butzstraße führt stadtauswärts vorbei an der zu den Hessing-Kliniken gehörenden „Geriatrie“. Auf der anderen Straßenseite liegt noch eine Freifläche, wo sich vor einem guten Jahrzehnt weitere Produktionshallen der Nähfadenfabrik erhoben und künftig Wohnbauten hochgezogen werden sollen. Weitere Arbeiterhäuser säumen die Straße und zudem die wunderhübschen, gleichartigen „Meisterhäuser“.
Wenn wir weiter bis zur Kreuzung Wellenburger-Straße laufen, könnten wir auch die Villen sehen, die einst den leitenden Angestellten der Nähfadenfabrik vorbehalten waren. Eine davon, nach Plänen von Philipp-Jakob-Manz errichtet, steht seit Jahren leer. Wie schade!
Alle, die so brav waren, mit mir bis kurz vors Allgäu zu laufen, dürfen sich dafür in der Bäckerei Degle etwas Leckeres holen. Wer nicht so weit laufen möchte, kann vorher schon in die Felsenstein- oder in die Waldstraße abbiegen, verzichtet auf ein Degle-Hörnchen und kommt ebenfalls in der Wellenburger Straße heraus.
Vor der Brücke über die Singold biegen wir alle wieder links ein, nehmen dann die nächste Brücke nach rechts und stehen auch schon vor der so genannten „Burg“. Man muss gestehen, von dieser Seite ist sie nicht so spektakulär. Als wirkliche „Operettenarchitektur“ hat sie eben ihre Schokoladenseite zum Park hin. Hier ist allerdings alles aufgeboten, was eine Burg im Geiste von Neuschwanstein so braucht.
Die Gögginger „Burg“ diente aber keinem „Kini“ sondern ausgewählten Gästen von Hofrat Friedrich von Hessing. Er hatte sich auf orthopädische Schienen, Korsette und Stützapparate spezialisiert, auch einen Rucksack mit Hüftgurt entwickelt. Die repräsentativen Klinikbauten, die Jean Keller für Hessing ab 1887 errichtete, waren großteils schon barrierefrei.
Nur Fragmente der wunderschönen Gebäude, die aussahen wie Thomas Manns „Zauberberg“ entsprungen, blieben erhalten, darunter das Ärztehaus (circa 1890) mit geschuppter Zwiebelkuppel, der Ostflügel der ehemals dreiflügeligen Wandelhalle (1896-99) sowie Teile der eigentlichen Klink (1887-89).
Wer sich in Nach-Corona-Zeiten hineintraut (Eingang rechter Flügel) und den Wegweisern zur Kapelle folgt, wird mit einem atemberaubenden Innenraum belohnt. Die Ausstattung (1890-93) ist bis ins Detail erhalten, vor allem die geschnitzte Empore ist spektakulär.
Alle, die jetzt noch Stärkung brauchen, können im Hessing-Café eines der legendären Nußhörnchen ergattern und durch die Wandelhalle schlendern. Links steht ein gelbes Bauwerk aus dem Jahr 1790. Der Augsburger Bischof Clemens Wenzeslaus ließ es als Priesteraltersheim errichten (Architekt war vielleicht Johann Martin Pentenrieder oder Johann Stephan Gelb); 1805 wurde es zum Landgericht umfunktioniert, 1869 von Hessing als Klinikgebäude genutzt. Daneben, wo jetzt Parkplätze sind, erhob sich die Marienkapelle (15. Jh.), die 1804 profaniert wurde und 1904-53 als Rathaus diente. 1969 wurde der reichlich verunstaltete Bau ganz abgebrochen.
Wir biegen rechts in die Butzstraße ein, deren Häuser vor allem um 1900 entstanden. Wie schade, dass das kioskartige Gebäude mit dem aufgesetzten „Stern“ nicht mehr als Café dient – der Konditor Josef Erdle hatte diese Gögginger Institution begründet, die bis in die 2000er Jahre bestand. So müssen wir uns eben auf eine Parkbank setzen und das Rauschen der hohen Gögginger Bäume genießen.