Stellt Euch vor, ein sonniger Nachmittag. Die Vögelein pfeifen, die Schmetterlinge flattern und Bienen summen; unter der Brücke rauscht das Wasser, in dem sich Entlein Tummeln und in der Ferne, hinter einer Allee liegt das gelbe Schloss mit Zinnenturm. Rosamunde Pilcher? Nein: Ein glücklicher Moment an der Wertach ganz ohne Herzeleid. Ein bisschen was, muss man zugeben, fehlt schon, zum Kitsch denn: wenn die Donau „schön blau“ ist (oder war?) so war die Wertach seit je schön braun. Ihr Geruch ist leicht moorig. Wenn wir also auf der Brücke stehen, von der aus die alte Lindenallee bis nach Schloss Wellenburg führt, und nach Norden (also stadteinwärts) schauen, dann sehen wir ein Wehr und die Abzweigung eines Kanals. Dort wollen wir hin, keine Widerrede!
Wir laufen also Richtung Göggingen und biegen noch vor der weißen Kirche (ob ihrer Form von den Anwohnern die „Käseschachtel genannt) rechts ab. Über den etwas verwunschenen Weg gelangen wir zu einer Holzbrücke und stehen über dem Kanal. Klar, dass jetzt wider eine „Belehrung“ kommt, aber hey, das ist hier mein Job: Der Kanal heißt der „Fabrikkanal“, man ahnt schon, warum man 1884 das schnell fließende Wasser abzweigte: Es wurde als Energiequelle für eine Fabrik verwendet, genauer für die Gögginger Zwirnerei und Nähfadenfabrik (ZNFG). Das Wasser hat geholfen, denn die Gögginger Garne waren weithin bekannt.
Wir laufen über die Brücke und biegen dann im Wäldchen gleich links ab. Kein Blick ist durch das dichte Grün auf den Kanal mehr möglich aber wir hören ihn noch. Nun geht’s durch das üppige Wäldchen bis wir zu einer Lichtung kommen. Folgt mir mal rechts aus dem Wald und wir stehen auf einer Wiese. Hinter der Hecke liegt das Gögginger Licht- und Luftbad. Das Wasser des Fabrikkanals diente nämlich nicht nur zum Antrieb, hier durfte seit 1927 auch gebadet werden.
Wir laufen die Straße solange entlang, bis wir wieder auf einer etwas angenagten Brücke stehen; gleich danach müssen wir links durch die Büsche. Hier fließt der Kanal höher als die Umgebung, weshalb wir ihn wieder kaum sehen aber fließen hören; denn jetzt kommt gleich das alte Turbinenhaus der Nähgarnfabrik und gleich darauf stehen wir vor dem wunderschönen Fabrikgebäude von 1908. Rot leuchten die Ziegel des Hochbaus mit seinen zwei Türmen. Am linken Turm vorbei, dann passieren wir auf ein Neues eine Brücke.
Ist das jetzt der Fabrikkanal? Haben wir den nicht gerade hinter uns gelassen? Stimmt! Denn jetzt können wir in die Wellen der Singold schauen. Das klingt viel versprechend, aber nach Gold braucht man darin nicht zu suchen, auch wenn hier vielleicht manchmal jemand singt. Die Silbe „gold“ ist vorgermanisch-keltischen Ursprungs und bedeutet wohl sumpfiges Gewässer. So sieht die Singold auch aus, sie ist mindestens ebenso braun wie die Wertach. Das kleine Flüsschen entspringt in Waal im Ostallgäu; es wurde (und wird) gefürchtet, kann es sich doch in einen reißenden Strom verwandeln.
Im September 1588 brach die Singold nach einem Unwetter nördlich von Göggingen in die Wertach ein. Bis dahin hatte sie sich ein ganzes Stück weiter neben der Wertach geschlängelt, fast bis zur Wolfzahnau im Norden Augsburgs. Durch das Unwetter lag das nördliche Bett der Singold nun auf dem Trockenen und es gelang nicht, den Bach wieder in das alte Bett hineinzuleiten. Das war ein großes Problem, weil mehrere Mühlen nun keinen Antrieb mehr hatten. Wie man sich behalf? Davon später!
Wenn wir nun Richtung Stadt laufen, am Park vorbei, gelangen wir zu der Stelle, wo seit 1884 die Singold in den Fabrikkanal mündet und nicht mehr in die Wertach wie fast 300 Jahre lang. Wir laufen weiter diesen Kanal entlang, unter alten Bäumen hindurch und – schon gut – wir machen einen Stopp an der „Kulperhütte“. Lorenz Kulper hatte in den 1920er-Jahren die glorreiche Idee, in einem ehemaligen Bienenhäuschen einen „Erfrischungs-Pavillon“ einzurichten. Das Konzept ist sichtbar aufgegangen.
Frisch gestärkt kann es weitergehen. Nach dem Wehr an der Kulperhütte heißt unser Kanal übrigens „Wertachkanal“. Dieser wurde 1920 als Verlängerung des Fabrikkanals angelegt. Ganz schön kompliziert, das alles. Zwischen Wertach und Kanal geht’s weiter Richtung Stadt. Blicken wir zurück, sehen wir den gelben Turm von Wellenburg auf den Hügeln schimmern. Nehmen wir einmal (theoretisch) an, dass wir alle darauf brennen, immer weiter zu laufen, vorbei an den „Eisernen Brücken“ über die die Lokalbahn rumpelt, weiter vorbei an dem weißen Turbinenhaus von 1920, das man zum Antrieb der Straßenbahn errichtete. Durch Alleen und Kleingärten und über die Pferrseer Straße. Kurz vor der Ackermann-Brücke verbindet ein kleiner Anstich die Wertach und den Wertachkanal.
Aber warum? Da müssen wir nun kurz den „Kopf zusammennehmen“ wie man im Schwäbischen sagt, also scharf nachdenken. Erinnern wir uns: 1588, die freche Singold brach in das Bett der Wertach ein. Der alte Lauf der Singold lag nördlich davon trocken. Da ließ die Stadt Augsburg einen Anstich an der Stelle, wo wir jetzt stehen anlegen und konnte so das alte Bachbett der Singold mit Wertachwasser füllen. Diesen Kanal nannte man und nennt ihn bis heute „Holzbach“. Unsere Strecke wird jetzt ein bisschen unromantisch, da wir ein Stückchen die Holzbachstraße entlang laufen müssen, bis wir das Plärrergelände erreichen.
Lasst uns noch schnell die Langenmantelstraße überqueren wo (noch, Stand Juni 2019) der imposante Hochbau des Werks „Wertach“ der Baumwollspinnerei am Stadtbach emporragt. Ehemals, als die großen Fensterfronten noch offen waren, war dies quasi ein „Zwilling“ des Glaspalastes.
Vom Parkplatz aus gelangen wir wieder ans Ufer unseres Kanals der nun – endlich – Senkelbach heißt. Klar laufen wir jetzt noch unbedingt bis zur alten Straßenbahnzentrale am Senkelbach; das Gute am schreiben ist ja, dass der Autor keine Widerrede hören muss und der Leser einfach aufhören kann, wenn es langweilig wird. Aber zum Thema: Die Senkelbachzentrale entstand 1898, damals wurde die Augsburger Trambahn elektrifiziert. Klar war man stolz, dass zum Antrieb nun keine Pferde mehr gebraucht wurden, weil die immer in die Schienen schi..en. 😉
Nun gut, die Trambahnritzenreinigungsdamen mögen vielleicht ihrem Job nachgetrauert haben… Wie auch immer, 1898 liefen die Trams elektrisch durch die Stadt und hier am Senkelbach lag die Zentrale des „Wunders“ mit Depot und E-Werk. Heute ist es fast noch besser. Denn hätten wir diesen Spaziergang physisch erlebt, könnten wir jetzt ins Café Tür an Tür im einkehren, das in der alten Straßenbahnzentrale untergebracht ist. Mensch, das wäre doch was!